Passig zum Literaturpreis: Kathrin kommt bei de‘ Omma.

Eigentlich ist das Thema Bachmann-Preis ja noch mehr durch als die WM. Doch der folgende nachtragende (oder: nachtretende) Zwischenruf ist leider absolut notwendig. Ein bemerkenswert belangloser Text der siegreichen Autorin im Feuilleton der heutigen Süddeutschen (18.07.2006/Deutschland-Ausgabe S.14) zeigt, dass Jana Hensel, die nicht ins allgemeine Passig-Abfeiern einstimmen wollte, nur allzu recht hatte(und bestätigt auch meine Beurteilung der literarischen Talente von Clemens Meyer und Kathrin Passig).

Die von Jana Hensel bemängelte Literaturferne des Klagenfurtes Lesewettbewerbes dominierte auch die anschließende Lobhudelei des Feuilletons. Der Sieg Passigs wurde als Sieg des Humors über den angeblich freudlosen Literaturbetrieb, die Aktionen ihrer „Zentralen Intelligenz Agentur“ als Neo-Dadaismus gepriesen. Dabei will Passig ihren Bachmann-Beitrag durchaus nicht als Comedy verstanden wissen. Und massenkompatibler Dadaismus ist ja wohl ein Widerspruch in sich. Man muss nicht jede absichtsvoll sinnlose Guerilla-Marketing-Aktion gleich zur dadaistischen Aktion hochjubeln – obwohl dies als später Sieg des genuinen Dadas sicher Hugo Ball vor Freude im Grab rotieren lässt.

Revolutionäre, geheimbündlerische oder auch dadaistische Posen gehören bei „uns Kreativen” schon lange zum guten Ton. Der Dadaismus Passigs ist bestenfalls Wohlfühl-Wellness-Dada. Dazu passt der peinlichste Beitrag der Bachmann-Nachbetrachtungen. Die selbsternannte „Autorenschrittmacherin“ Christiane Koschmieder, gefällt an der Autorin Kathrin Passig besonders, dass sie für ihre Lieblingszeitung TAZ schreibt, ein „bisschen Anarchie“ (wer muss bei dieser Formulierung nicht an Nicole denken…) pflegt und überhaupt:

Endlich eine, die aus dem Leben kommt, das mir und den meisten anderen Menschen, die in ihrem Leben VOR der Schriftstellerei nicht schon Leichenwäscher oder Boxer waren – bekannt und nah ist.

Da scheint mir doch ein sehr verkürztes Literatur-Verständnis vorzuliiegen. Sicher ist die Möglichkeit zur Identifikation mit der eigenen Lebenswelt ein für viele Lesegelegenheiten wichtiges Motiv, aber doch bitte nicht das wichtigste. Sonst fällt ja gleich ein Großteil der Weltliteratur runter. In wessen Lebenswelt mutieren schon Verwandte in Käfer, werden Kriege mit geschenkten Holzgäulen gewonnen, ist der Tagesablauf nach griechischen Epen strukturiert oder – um es ein wenig tiefer zu hängen – bestimmt das rechtzeitige Recycling von Schmuckstücken über das Schicksal der Welt.

Man kann das autorenschrittmachenden Lob der lebensweltlichen „Normalität“ Passigs auch mit Jana Hensel als fehlende literarische Relevanz verstehen.

Nach Lektüre von Kathrin Passigs Text „Tage der Grillen“ scheiden andere Lesarten aus. Hensels härteste Kritik an Passigs Siegerlesung („Schreibkurs-Arbeit“), die für mich nicht gegen „Sie befinden sich hier“ sprach, wird von dem aktuellen Werk in geradezu schockierender Weise bestätigt.

Über Autorenhonorar und Eigenlob hinausgehende Motivationen für den Text sind (zumindest mir) nicht erkennbar. Dafür werden lehrbuchmässig alle Möglichkeiten, den Text „origineller“ zu gestalten abgehakt. Der unmotivierte Einstieg mit dem klassischen Feuilleton-Kalauer über den Weg von Klagenfurt zum Wörthersee wird brav am Ende wieder aufgegriffen. Es folgt eine heimelige Genre-Szene – Spitzweg lässt grüßen – über die Unterbringung im Landgasthaus, wo sich die Autorin so heimisch wie bei Großmuttern fühlt. Nachdem Kathrin nu endlich zu de‘ Omma gekommen ist, wird‘s natürlich auch Zeit für ein Märchen: Die Fabel von der Grille und der Ameise. Wobei allerdings einzuwenden ist, dass hier ein Märchen der Inuit, Aboriginies oder doch wenigstens ein tibetischesr deutlich mehr zielgruppengerechte „Originalität“ bewiesen hätte.

Denn natürlich bleibt unsere Kathrin ein „bisschen anarchisch“ und geht „ohne Kunstbegriff“ aber mit „Flip-Flops“ zum Bachmann-Lesen. Und wollten wir jetzt auch ganz clever in den Schreibwerkstatts-Werkzeugkasten greifen, und bemerken, dass unsere Autorin „ohne Kunstbegriff“ ja ohne Kleider dasteht, so kommt uns allerdings die diesjährige Klagenfurter-Lese-Kaiserin zuvor und sitzt selbst noch „mit A. nackt auf dem Bett.“ – A. !!!!!!!

Genauere Bemerkungen zu dem in „Tage der Grillen“ vorexerzierten Schwache-Metaphern-Overkill erspare ich mir und den Lesern; SZ-Abonnenten können sich selbst ein Bild machen. Dass der Artikel nicht im freizugänglichen Bereich von sueddeutsche.de steht, kann leider nur als Maßnahme zum Schutz der Autorin gewertet werden – ihn ganz in der Schublade zu lassen wäre allerdings effektiver gewesen.

So bleibt als zweites Fazit zum Bachmann-Preis, dass dieses Jahr nur ein literarisches One-Hit-Wonder zu feiern ist. Das sagt nichts gegen die Qualitäten von Kathrin Passig als Zentrale-Intelligenz-Agentin und Sachbuchautorin, nur sog. „intelligent gemachte Unterhaltungsliteratur“ können andere besser und hat m.E. beim Bachmann-Preis auch nichts zu suchen. Und zu mehr, so scheint es mir nach der heutigen Lektüre“ wird es bei Kathrin Passig wohl nicht reichen.

Dass Jana Hensel hier als Kronzeuge diente, sagt übrigens nichts über ihre literarische Qualitäten. Ich kenne nur einige ihre journalistischen Arbeiten. Aber da ich sie implizit so über den grünen Klee gelobt habe, werde ich demnächst wohl auch mal „Zonenkinder“ lesen.