Der Fotograf und Schriftsteller Hervé Guibert. (Vortragstext)

Bernd Neugebauer

Beitrag zum Symposium der Darmstädter Tage der Fotografie 2006 – 22.04.2006

Überarbeitete und erweiterte Fassung vom 08.05.2006

Hinweis: Die PDF-Version (mit Bildern) gibt’s hier.

Einleitung

Da es im Folgenden um einen – eher weniger bekannten – Fotografen und Schriftsteller gehen soll, dessen Werk in erster Linie autobiographisch1 ist, scheint es sinnvoll, mit einem kurzen biographischen Abriss zu beginnen.

Kurze Biographie:

Hervé Guibert wurde 1955 in Saint-Cloud geboren, verbrachte seine Schulzeit in Paris und La Rochelle und lebte ab 1973 in Paris, wo er – nach erfolglosen Versuchen an der Filmhochschule aufgenommen zu werden – zuerst als Journalist, dann als Schriftsteller und Fotograf arbeitete.

Dem französischen Publikum wurde er bekannt durch seine Film- und Fotokritiken für Le Monde (1977–1985),2 die Auszeichnung mit einem César für das Drehbuch zu Patrice Chéreaus3 „L‘homme blessé“ (1985; dt: „Der verführte Mann“) und den Literaturpreis Prix Fénéon für seinen Roman „Les Aveugles“ (dt: „Blinde“4). Bis zu seinem Tod im Dezember 1991 veröffentlichte er über 15 Romane, Erzählungen und Bildbände, seine Fotografien wurden in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt.

Unter dem Aspekt der Verbindung von Fotografie und Literatur sind dabei der Band „Phantom-Bild“5 (1981) mit autobiographischen Essays über sein Verhältnis zum Medium und der Foto-Roman „Suzanne und Louise“ (1979) besonders erwähnenswert.

Mit „Dem Freund, der mir das Leben nicht gerettet hat“6 (1990), in dem er sich mit seiner HIV-Infektion auseinandersetzt, erregte er auch außerhalb Frankreichs Aufsehen. Das große Interesse an dem Roman lässt sich vor allem auf drei Gründe zurückführen:

Erstens: „Dem Freund, …“ war einer der ersten – ich würde sagen: der erste7 – Romane über HIV/AIDS, bei dem von Literatur im emphatischen Sinne die Rede sein konnte – der mehr als ein nüchterner Betroffenenbericht war.

Zweitens: Ungeachtet seiner literarischer Qualität besaß der Roman das nötige Skandal-Potenzial, das mediale Aufmerksamkeit über die Grenzen des Kulturbetriebs hinaus garantiert. Guibert stellt in „Dem Freund …“ – für die Betroffene eher unvorteilhaft – die Starallüren der Schauspielerin Isabelle Adjani dar und plaudert …

Drittens: … vermeintlich skandalöse Details über das Sexualleben und die Umstände des Todes von Michel Foucault aus.8

Das Stichwort Michel Foucault führt mitten ins Thema: Hervé Guibert war mit Foucault und Roland Barthes befreundet – beide (im weitesten Sinne) postmoderne9 Theoretiker der Subjektivität.

Ihr Einfluss auf Guibert ist unübersehbar. Die Frage nach dem Selbst und seiner angemessenen Darstellung bildet einen Kern seines fotografischen und literarischen Werks.