Liebes Tagebuch (8): Die bildungsföderale Dimension des Sonnensystems

Liebes Tagebuch,

Sie haben einen ganzen Planenten ausradiert – und das ohne den Bau einer intergalaktischen Umgehungsstraße oder Zuhilfenahme des imperialen Todessterns. Die Menschheit der Gegenwart besitzt zur Tilgung wehrloser Himmelskörper viel effektivere Waffen: Lithium-Ionen-Akkus von Sony Kongresse.

So sinnvoll es unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten sein mag, Pluto aus dem Kreis dem Planeten wegzudefinieren, bleibt doch die entscheidende Frage: Dürfen die Astronomen das überhaupt?

Natürlich nicht, denn Bildung ist bekanntlich Ländersache. Aus dem sich langsam formierenden Widerstand in der scientific community dürfte ein bundesweiter Aufstand werden, wenn erst die höchsten wissenschaftlichen Instanzen der Republik – Kultusminister, Ministerpräsidenten und vor allem Elternvertreter aus der Toskana, dem Salzkammergut oder von Helgoland zurückgekehrt sind.

Erst bekommt die kleine Katharina aus Oberhausen eine „4“ in Sachkunde, dann nimmt sich ein ZDF-Spezial des Themas an. Darin O-Töne von Bezirkelternräten: „Erst die Rechtschreibreform und jetzt, wo wir endlich wissen, wie man Pluto richtig schreibt, wird er uns wieder weggenommen…“, Schulbuchverlegern: „Die Umstellung aller Bücher auf das neue Sonnensystem wird Millionen kosten, die wir ohne staatliche Hilfen nicht aufbringen können …“ und natürlich eines unter medialen Aufmerksamkeitsentzug leidenden Unionsministerpräsidenten: „Die Union muss sich von der Lebenslüge, mit nur acht Planeten könnten Wahlen gewonnen werden, verabschieden.“

Die Wandlung des Zwergplaneten zum Roten-Nachrichten-Riesen wird fürderhin durch einen Beitrag des allzuständigen Peer Steinbrück befördert: „Für eine sichere Altersversorgung, muss man auch mal auf einen Planeten verzichten können – schließlich sind die Menschen jahrhundertelang mit wesentlich weniger Himmelskörpern als heute ausgekommen.“

Ob Guido Westerwelle bei Sabine Christiansen tatsächlich gefordert hat, der Van-Allen-Gürtel müsse „enger geschnallt” werden (oder doch wie üblich: „Von allen muss der Gürtel enger geschnallt werden.“) bleibt ungeklärt, denn das Schlusswort gehörte selbstredend Oskar Lafontaine: „Die Linkspartei wird solange nicht mit der SPD koalieren, wie versucht wird, den Mars als Roten Planeten zu diskreditieren und die berechtigten Ansprüche der Arbeitnehmer auf ein überkommenes Weltbild von den neoliberalen Kräften ignoriert werden.“

Und wenn auf dem Höhepunkt des Streites „Bild“, „FAZ“, „Spiegel“ und Bertelsmann-Buchclub beschließen, die Planeten auch weiterhin gemäß des „klassischen Sonnensystems nach Konrad Duden“ einzuteilen, bekommt auch der gemeine Erdenbürger eine Anschauung vom Hintergrundrauschen in kosmischen Dimensionen.

Wenigstens darf erwartet werden, dass die katholische Kirche sich aus dieser Debatte heraushält. Der ist die Zahl der Planeten bekanntlich egal – Hauptsache sie drehen sich um die Erde


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