Pauls „Pornokrieg“. Oder: Wissenschaft als Kollateralschaden.

Aus gegebenem Anlass eine Rezension von Gerhard Pauls „Der Bilderkrieg. Inszenierungen, Bilder und Perspektiven der ‘Operation Irakische Freiheit’“.

Gerhard Pauls 2004 erschienenes „Bilder des Krieges. Krieg der Bilder.“ gilt – nicht zu Unrecht – als „Standardwerk“ über die Geschichte der Darstellung des Krieges in den modernen Massenmedien. Der jüngst erschienenen Fortsetzung „Der Bilderkrieg“ über die mediale Aufbereitung des Irakkrieges 2003 dürfte dieser Status jedoch versagt bleiben. Das erstaunlich unsauber lektorierte Buch fällt vor allem durch mangelnde Trennschärfe in Analyse und Behandlung der Fakten sowie zum Teil nur noch als absurd zu bezeichnende Widersprüche in der Argumentation auf.

Der Kieler Historiker wird seinen offensichtlichen medienkritischen Ambitionen in diesem Werk leider nicht durch den Nachweis entsprechender medientheoretischer Kompetenz gerecht. Statt sachgerechter Argumentation dominiert die Flucht ins Plakative. Schon die „paradoxe Situation“, im welcher sich der Autor durch seine Arbeitsweise wähnt: „Alles was in diesem Buch über die visuelle Medienberichterstattung (…) geschrieben wird, basiert wiederum fast ausschließlich auf dem Material das diese Medien selbst generierten und transportierten.“ (S. 13) ist bei genauerer Betrachtung nicht der besonderen Erwähnung wert – es handelt sich schließlich um nichts anderes als die Arbeit mit Quellen.

Mit deren angemessener Interpretation hat Paul so seine Schwierigkeiten: Als Belege für den Erfolg von Colin Powells Präsentation in der von „Bildern geblendeten Medienwelt“ (S. 38) führt Paul Zitate aus deutschen Zeitungen an, deren vermeintliche Blendung journalistisch sauberem Arbeiten geschuldet ist: der Trennung von Meinung und Kommentar. Die zitierten Überschriften „Powell: So täuscht Saddam“ oder „Powell: Irak täuscht die Welt“ (S.38) geben die Nachricht (die Behauptung des amerikanischen Außenministers, er habe Beweise für die Existenz irakischer Massenvernichtungswaffen) wieder. Dass der „Kommentator“(ebd.) der FAZ, diese Beweise überzeugend findet, ist hingegen eine Meinungsäußerung, denn sie findet – wie Paul ebenso richtig wie für seine Argumentation folgenlos – bemerkt ja in einem Kommentar statt.

Sicher gab es auch in der deutschen Presse einen zu unkritischen Umgang mit den vorgeschobenen Kriegsgründen, nur lässt sich das an Pauls Beispielen so nicht belegen. So ungenau der Blick auf den Inhalt der Quellen, so unscharf ist auch der Blick auf ihre Herkunft: Ob ein Zitat aus der sog. Qualitätspresse, einem privatem Blog, von der staatlichen iranischen Nachrichtenagentur oder aus der Yellow-Press stammt ist gleich, solange nur möglichst plakativ Pauls Thesen gestützt werden.

Beispiel: Ein Umfrage-Ergebnis der Freizeit-Illustrierten „Bild-Woche“ (S. 45) wird als Beleg der These, dass die sog. „shock and awe“-Strategie des US-Militärs eine Form „psychischer Gewaltanwendung gegenüber dem globalen Publikum“ darstelle, herangezogen. Angesichts der Quelle ist zu vermuten, dass das Ergebnis, 33% der Deutschen befürchteten einen dritten Weltkrieg, ebenso aussagekräftig ist, wie die sonst an gleicher Stelle veröffentlichten Erkenntnisse á la „48,7% aller Frauen wollen mit George Clooney schlafen“. Wobei überhaupt Pedanterie im Umgang mit Fußnoten Pauls Sache nicht ist (vgl. z.B. Anmerkung 63 auf S. 200). Selbst die Bild-Woche wird nur aus einer Sekundärquelle zitiert.

Dem – wohlwollend formuliert – lässigen Umgang mit den Quellen entspricht der einem wissenschaftlichen Werk nur begrenzt angemessene lockere Umgang mit der Sprache (Die auffallend hohe Zahl an Fehlschreibungen sei nur am Rande erwähnt). Wenn in Werken der Geisteswissenschaften der Autor seinen Standpunkt zu erkennen gibt statt entsubjektivierte positive Objektivität vorzugeben, kann dies ein Ausdruck wissenschaftlicher Redlichkeit sein und dem Leser helfen, die Argumente zu bewerten. Und gegen eine treffende Polemik ist nichts einzuwenden, solange diese zur Erkenntnis beiträgt.

Nur treffen Pauls Polemiken nicht: Die Bezeichnung „Powell-Point-Präsentation“ (S. 35) für den Auftritt des amerikanischen Außenministers vor dem UN-Sicherheitsrat am 5.2.2003 ist noch launig, wenn auch erklärungsarm. Den bekanntermaßen als nur wenig fair und ausbalanciert geltenden US-Nachrichtenkanal „Fox News“ als „inoffiziellen Regierungssender“ zu bezeichnen mag im Feuilleton angebracht sein, in einer theoretischen Studie ist es das nicht: Die Nähe zur republikanischen Partei befreit den Sender im Gegensatz zu staatlich gelenkten Medien in Diktaturen nicht von kommerziellen Zwängen. Durch die Polemik wir verdeckte, was an der Berichterstattung von Fox zu untersuchen wäre: Die komplexen Verflechtungen zwischen Massenmedien und der amtierenden US-Regierung und wie diese funktionieren. Eine Mühe, die sich Paul spart: Stattdessen wird der Eindruck gepflegt, CNN und Co. setzten nur ein von Pentagon und Weissem Haus verfasstes Drehbuch um. Raus kommt dabei: „Bushs Sport-Show“ (S. 56)

Falls die kraftmeiernde Metaphorik die Widersprüche in Pauls Argumentation verdecken soll, so misslingt dies. Wie bereits von Claus Leggewie in der taz angemerkt, begibt sich der Autor ständig in einen Widerspruch zu seiner Prämisse: „dass sich der moderne wie postmoderne Krieg grundsätzlich der visuellen Repräsentation entzieht, ja das Nicht-Darstellbare schlechthin ist“ (S. 13) und vergisst über den von ihm unterstellten Bilderkrieg den realen: Für Paul sind die von „Bushs „Pornokriegern“ (S. 220) verübten Folterungen im Bagdader Gefängnisse Abu Ghraib als Teil in einem „schmutzigen Pornokrieg“ zu betrachten. Ein Kommentar zu Erkenntnisgehalt und Angemessenheit dieser Formulierung dürfte sich erübrigen.

Sowenig Paul auf der sprachlichen und – ihm fachfremden – Ebene der Medientheorie überzeugen kann, sowenig kann er es auf seinem angestammten Terrain. Von einem Historiker ist zu erwarten, dass er die Medienberichterstattung über den Irak im Hinblick auf die Ereignisse differenziert betrachtet: Aber es scheint für Paul nur einen – noch andauernden – Irakkrieg zu geben. Die Bombardierung des Al-Dschasira-Büros kurz vor der Eroberung Bagdads verortet der Autor am Beginn des Krieges (S. 116). Zwischen der Phase des zwischenstaatlichen Krieges und Kampf zwischen US-Armee und irakischen Behörden gegen verschiedene Gruppen sog. Aufständischer sowie einzelner Bevölkerungsgruppen untereinander wird nicht unterschieden. Dabei macht es gerade im Hinblick auf die Funktionalisierung der Massenmedien durch Interessengruppen einen entscheidenden Unterschied, ob der Krieg zwischen verschiedenen Staaten stattfindet oder es sich um einen Bürgerkrieg handelt.

Es mag Gründe für das Unterlassen der Diskussion seines Verständnisses des Irakkrieges geben. Sachliche Fehler und falsche Angaben zu Fakten sind jedoch gerade bei einem Historiker unentschuldbar. So stutzt der Leser, wenn Saddam Hussein bereits 1991 die Videos von Bombardierungsopfern via Internet verbreitet haben soll – was technisch gerade soeben möglich jedoch weder praktibel noch sinnvoll gewesen wäre (Mit größtem Wohlwollen kann der Satz auch so gelesen werden, dass dies erst sehr viel später geschehen sei. Dann jedoch ist die Aussage im Kontext ohne Bedeutung.)

Vollends grotesk wird der Umgang mit den Fakten, wenn Paul behauptet (S. 170), die an Amerikanern begangenen Leichenschändungen in Falludscha am 1. April 2004 seien eine Reaktion auf die Veröffentlichung der Bilder aus Abu Ghraib am 28. April 2004 (vgl. S. 182). Statt elementarem Überprüfen (hier: Blättern im eigenen Manuskript) der Fakten begibt sich Paul lieber in das Reich der lustvollen Spekulation und Kritik an der triebhaften Schaulust des gemeinen Publikums – wird gleichsam selbst zum „Pornokrieger“: „Die kursierenden Gerüchte über weitere Folterbilder nämlich fachten nur umso mehr die sexuelle Phantasie des Publikums an und mobilisierten vollends dessen eigene innere Bilder.“ (ebd.)

Wo derart starke Sätze blühen, darf auf der Einhaltung gewisser wissenschaftlicher Mindeststandards wohl nicht bestanden werden. Vielmehr ist in diesem „Bilderkrieg“ der wissenschaftliche Wille zu Wahrheit das erste Opfer – findet Wissenschaft in diesem Werk eigentlich nur noch als Kollateralschaden der „kritischen Ambitionen“ des Autors statt. Wie das passieren konnte, bleibt angesichts des Renommees von Autor und Verlag ein Rätsel.

Paul, Gerhard: Der Bilderkrieg. Inszenierungen, Bilder und Perspektiven der ‘Operation Irakische Freiheit’
Wallstein Verlag, Göttingen 2005, 237 Seiten, 24,00 EUR


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