Die M Acht war mit mir.

Vier Tage mit einer Leica M8. Ein etwas ernüchterter Erfahrungsbericht.

Die Testkamera: Eine Leica M8

Zu den fixen Ideen, die den Autor dieses Blogs langjährig verfolgen, gehören ein Hund und eine Leica (Messsucherkamera). Vor dem Hund ist mein Vermieter, vor der Leica die ökonomische Vernunft: Eine Leica-M-Ausrüstung – die dabei nur Zweitkamera wäre – wird nämlich sehr fix sehr teuer. Genau genommen schon beim Erwerb des Gehäuses …

Hundeerfahrung konnte ich schon als Gassi-geh-Aushilfe sammeln, Leica-Erfahrung hatte ich bis vor kurzem keine: bis zur M8-Testaktion.

(Wen nur die Fotos interessieren: Bildbeispiele und weiterführende Informationen gibt‘s auf einer eigenen Microsite)

What you see is NOT EXACTLY what you get

Viele der berühmtesten Reportagefotos der Welt wurden mit Hilfe einer Leica geschossen. Die Leica ist eine Legende. Von der Traditionspflege abgesehen, wo liegt der Vorteil einer Messsucherkamera, wenn alle Welt nur mit Spiegereflexen (oder dem Handy) fotografiert?

Kleiner technischer Exkurs für Nicht-Eingeweihte: Der Sucher (das komische Guckloch, das manche Kameras über/neben/statt dem Monitor haben) einer Spiegelreflexkamera (SLR) zeigt über eine Konstruktion aus einem Prisma und einem Spiegel direkt das Bild durch das Objektiv. Bei einer Sucherkamera ist der Sucher eine vom Objektiv getrennte optische Konstruktion und zeigt daher nur ein ungefähres Bild. SLRs bieten also gewissermaßen „What You See IS What You Get“. Das ist ein so großer Vorteil, dass seit dem Aufkommen dieses Kameratyps in den 1950ern Sucherkameras im professionellen Bereich nur noch ein Nischendasein führen.

Allerdings: Das namensgebende Bauteil einer Spiegelreflex ist bei der Konstruktion von Kameras, Objektiven und bei der Aufnahme „im Weg“. Der Spiegel erzwingt größere Gehäuse und erschwert die Konstruktion (insbesondere lichtstarker) Objektive. Das Hochklappen des Spiegels bei der Auflösung wird von einer Erschütterung begleitet (dem sog. Spiegelschlag) begleitet, die zu einem großen Teil zur Verwacklungsgefahr beiträgt.

Messsucherkameras sind daher kompakter, leiser und man kann mit ihnen auch bei sehr ungünstigen Lichtverhältnissen noch ohne Stativ fotografieren. In der Ära des chemischen Films waren sie daher für die Fotografie bei verfügbaren Licht („Available Light“) die sinnvollste und für viele Reportagesituationen die erste Wahl.

 

Genug technischer Exkurs: Wichtig ist auf dem Platz. Meine Erfahrungen aus vier Tagen mit einer Leica M8 (und einem Elmarit-M 1:2,8/28 mm Asph.)

Begeisterung:

Die optische Qualitat des Objektivs und der speziellen Sensorkonstruktion sorgt (schon bei offener Blende!) für eine Bildschärfe, die meine Erwartungen in sehr hohem Maße noch übertreffen. Die M8 ist mehr als Fox Talbots “Bleistift der Natur”, eher schon deren „Skalpell“.

Außerdem macht die Kamera wirklich Spaß: angenehme Haptik, wertige Verarbeitung und vertraute Bedienungselemente. Das Konzept „Blendenring am Objektiv und Verschlusszeitenrad auf der Kamera“ ist meines Erachtens den multipel-konfigurierbaren Multifunktionsrädern moderner SLRs immer noch deutlich überlegen.

Kompakt (im Vergleich zu einer SLR) wie sie ist, nimmt man die Leica häufiger mit. Und locker in der Hand getragen, sorgt die Leica für einen mindestens eben so hohen Lässigkeitsfaktor wie David Hemmings in „Blow Up“ mit seiner Nikon hat.

Die M8 ist wesentlich „unaufdringlicher“ als eine SLR, was sich besonders bei Portraits bewährt. Selbst schwierige Modelle – wie der Autor dieses Blogs – wirken deutlich entspannter vor der Linse.

Autor dieses Blogs. Foto: U. Gronau
Der Autor dieses Blogs (Foto: Ulf Gronau)

Auch erfreulich:

Erstaunlicherweise bedurften die Bilder im Rohformat (lobenswerter gleich DNG statt irgendeines proprietären Gebräus) weniger Nachjustierung als die Bilder aus meiner Nikon D300. (Zum „Aber“ siehe unten)

Die Bedienelemente und Menüs sind aufgeräumt und leicht verständlich organisiert. Aber …

Nicht ganz so begeisternd:

Die prinzipiell gute Ergonomie der Kamera leidet unter kleinen, dafür umso nervigeren, Designschwächen: Den Selbstauslöser mit dem Ein/Aus/Serienbild-Schalter zu kombinieren ist eine selten blöde Idee. Bei blinder Bedienung landet man häufiger im Selbstauslöser-Modus.

Schalter: Aus/Einzelbild/Serie/Selbstauslöser

ISO-Empfindlichkeit und Belichtungskorrektur sollte man ohne Ausflug ins Menü einstellen können. Zumindest ich nutze die Empfindlichkeit als „dritte Variable“ neben Blende und Verschlusszeit und bin es gewohnt, sie mal schnell zwischendurch zu verändern.

Und da wir gerade bei meinen Gewohnheiten sind: Seit dem Ende meines 15. Lebensjahres bin ich glücklicher Besitzer Nikon FE (m.E. Die nahezu perfekte analoge SLR). In der halben Ewigkeit, die seit dem vergangen ist, habe ich mich daran gewöhnt alle bildrelevanten Informationen im Sucher zu sehen: Blende, Verschlusszeit und bei manueller Belichtung das Maß, in dem ich von den Empfehlungen der Kamera abweiche (meine D300 verwöhnt mich sogar noch mit ISO-Einstellung, Messmethode und einigem mehr). Im manuellen Betrieb gibt die Leica aber nur etwas kryptische Belichtungshinweise, bei Zeitautomatik zeigt sie immerhin noch die Zeit an. (Letzteres ist allerdings ohne großen Belang, denn die Automatik ist schnell überfordert).

Der Nachteil des Messsucherprinzips, dass der Bildausschnitt wesentlich ungenauer als im Sucher einer Spiegelreflexkamera angezeigt wird, erwies sich als wesentlich störender als erwartet. Mehr als die Hälfte der Bilder mussten nachträglich beschnitten werden, um die ursprünglich gewünschte Bildwirkung zu erzielen. Mit meiner D300 erreiche ich eine Beschneidungs-Quote unter 5% (allerdings neige ich bei diesem Thema auch zu einer etwas albernen Dogmatik).

Ernüchterung I: Sensor und Elektronik

Die Schärfe der Bilder ist wie erwähnt überragend – aber Schärfe ist nicht alles: Im Vergleich zur D300 (und auch der vorher benutzten D70) scheint der Sensor der Leica einen relativ geringen Kontrastumfang bewältigen zu können. Die Nachbearbeitung der Rohdaten geht zwar schneller, doch bieten diese auch gar nicht soviel Raum zur Nachbearbeitung: „Ausgefressene“ Lichter oder „abgesoffene“ Tiefen lassen sich kaum wiederherstellen.

Dieser Effekt steigt mit höherer ISO-Einstellung und schränkt meines Erachtens nach die Eignung der Kamera für die Fotografie bei schwachem Licht in weit stärkeren Maße ein als das verglichen mit der D300 höhere Bildrauschen. Dies ist insbesondere enttäuschend, da die analogen Leicas für die „Available Light“-Fotografie geradezu prädestiniert sind.

Zudem entspricht der Sensor nicht dem vollen Kleinbildformat – aus dem 28mm-Objektiv wurde somit effektiv ein 37mm – was eine für meinen Fotografierstil eher langweilige Brennweite ist.

Während die superkurze Auslöseverzögerung dem legendären Ruf der Leica gerecht wird, leidet das spontane Arbeiten insgesamt unter den Schwächen der Elektronik: Die Zeit vom Einschalten bis zur Betriebsbereitschaft der Kamera ist wesentlich zu lang. Eine kurze Zwischendurch-Kontrolle der Bilder auf dem Monitor war auch kaum möglich, weil das Speichern der Bilder nervtötend langsam vorangeht (die Firmware-Version in der Testkamera vertrug keine schnellen SHDC-Speicherkarten).

Ernüchterung II: The Messsucher and Me

Trotz unauffälliger Kamera wollte mir unauffälliges Fotografieren mit der Leica nicht recht gelingen, was vor allem am Messsucher lag. Die Leica zwingt den Benutzer in der Bildmitte scharfzustellen und danach den Ausschnitt zu wählen. Bei einer Spiegelreflex kann ich überall im Bild fokussieren (bei meiner D300 habe ich sogar fast im gesamten Bild Einstellhilfen und – horribile dictu – sogar Autofocus).

Theoretisch sollte man mit einer Messsucherkamera bei schwachem Licht besser scharfstellen können als mit einer Spiegelreflex, weil das Sucherbild deutlich heller ist. In der Praxis aber erwies sich das Fokussieren bei schwachem Licht als wesentlich schwieriger. Da bin selbst mit meiner alten FE schneller, obwohl deren Sucher nun wirklich nicht der hellste ist.

Eigentlich indiskutabel:

Überragende mechanische und optische Qualität alleine machen keine überragend zuverlässige Digitalkamera, wenn die Software nicht mitspielt.

Die M8 ist mittlerweile seit über anderthalb Jahren auf dem Markt. Das sollte genügen, die gravierendsten Software-Mängel zu beseitigen. Drei Totalabstürze in vier Tagen (jeweils nur durch kurzes Entfernen des Akkus zu kurieren) sind bei einer Kamera, die teurer als viele professionelle SLRs ist, eigentlich völlig indiskutabel. Foren und Erfahrungsberichte im Internet zeigen, dass es sich hierbei nicht um eine spezielle Macke meines Testmodells handelte, sondern dass dieses Problem weitverbreitet ist.

Ich schreibe das nur ungern, denn aller Ernüchterung zum Trotz finde ich die M8 sehr „sympathisch“: Den eigentlichen Leica-Anspruch einer professionellen „Reportagekamera“ (und nicht den eines Vitrineobjektes für wohlhabende Pensionäre), konnte die Kamera mit der von mir getesteten Firmwareversion (1.201) nicht erfüllen. Selbst Klinsi-Pressekonferenzen dauern für Fotografen ja mittlerweile nur noch drei Minuten, von denen bei einem Akkuwechsel (für den die Bodenplatte der Kamera entfernt werden muss) nicht viel überbleibt.

Fazit

Im Analog-Zeitalter wäre ich jetzt wohl glücklicher Besitzer einer Leica MP oder zumindest einer gebrauchten M6 oder 7. Aller Kritik zum Trotz: Die Eigenschaften, die der Leica ihren legendären Ruf und ihre Nische in der chemischen Fotografie sicherten, waren für mich an der M8 nachzuvollziehen.

Aber die chemische Fotografie ist mittlerweile selber nur noch eine Nische. Ich hatte erwartet, dass ich mit der Leica in einigen Bereichen „weiter komme“ als mit meiner D300. Das hat sich nur im Bereich Portrait bewahrheitet (Da es den abgebildeten Personen sicher nicht recht wäre, veröffentliche ich das Bild hier nicht: Aber mit der M8 ist mir eine meiner besten Portraitaufnahmen überhaupt gelungen.).

Ich hatte erwartet, dass die M8 eigentlich für Situationen wie meine „Wahlkampf-Beobachtung” optimal sei. Nach dem Erfahrungen des Tests muss ich feststellen: Viele dieser Bilder hätte ich mit einer digitalen Leica M nicht machen können.

Hauptgründe sind der Mangel an Weitwinkelobjektiven (zumindest solange man ohne – kein Scherz – Aufstecksucher arbeiten möchte) und der im Vergleich zu meinen Nikon SLRs (und für die zumindest für die Produkte von Canon wird das auch gelten) geringere Kontrastumfang.

Obwohl ich nicht mit der Leica im Irak, sondern nur in Linden (was für manche Nordstadtbewohner angesichts der traditionellen Rivalität der Stadteile gar nicht so anders ist …) war: Im Großen und Ganzen decken sich meine M8-Erfahrungen mit denen des World-Press-Photo-Award-prämierten Fotojournalisten Michael Kamber, der die Kamera als „Embedded Journalist“ im Krisengebiet eingesetzt hat.

Immerhin: Die Leica stellt mich für mich zwar keine wirkliche Immer-dabei-Kamera dar, aber sie war in den vier Tagen zumindest eine Öfter-als-die-SLR-dabei-Kamera. Leica hat zwar aktuell keinen Kunden gewonnen, gestorben ist meine „fixe“ Idee trotzdem noch nicht.

Mit größerem Sensor (oder weitwinkligeren Objektiven) und stabilerer Software, könnte das Thema zur Wiedervorlage kommen. Falls bis dahin die Sucherkamerafrage nicht eine ganz andere Lösung findet. Letzte Woche haben ziemlich überraschend Olympus und Panasonic einen neuen Wechselobjektiv-Standard für digitale Sucherkameras angekündigt (allerdings noch keinen konkreten Produkte vorgestellt).

Da ich mir für den Leica-Schriftzug nichts (bzw. weniger andere Dinge) kaufen kann, muss eine Sucherkamera nicht zwangsläufig eine Leica sein. Olympus z.B. baut auch sehr praxisgerechte, hochwertige Kameras.

Außerdem kooperieren Panasonic und Leica eng, und Mitarbeiter der deutschen Firma orakeln schon seit Monaten von großen Überraschungen zur Photokina …

(Nochmal der Hinweis: Bildbeispiele und weiterführende Informationen gibt‘s auf einer eigenen Microsite)


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