Liebes Tagebuch (20):
HEUTE in der digitalen Backstube!

Wenn eine globale Finanzkrise droht, ist Ruhe erste Anlegerpflicht. Und die der Medien auch. Daher ist nur zu begrüssen, wenn die Hauptnachrichtensendung von Deutschlands neuerdings volksmusikreduzierten Informationssender Nummer Zwei, die Zuschauer nicht durch weitere Verwicklungen deutscher Kreditinstitute in die amerikanischen Immobilienblase verwirrt, sondern mit einer ebenso exklusiven wie relevanten Nachricht aufmacht: Deutschlands Jugendliche spielen sich zwar am Computer so dick, dass sie in keinen handelsüblichen Panzer mehr passen – um die informationstechnologische Kompetenz am Ausbildungsplatz ist es aber trotzdem schlecht bestellt.

Mit der Beurteilung von Kompetenz ist das ja immer so eine Sache: Man könnte ja zum Beispiel sich auch mal fragen, ob es ein Ausweis journalistischer Kompetenz ist, nicht nur eine von Microsoft (sicher nur aus interesselosem Wohlgefallem an den Schönheiten der quantitativen Sozialforschung) beauftragten Studie wiederzukäuen, sondern als kritischen Experten auch gleich noch den Chef der Firma vor die Kamera zu holen.

Man könnte auch fragen, ob 200 befragte Handwerksbetriebe (von insgesamt 923046 = 0,02%) angesichts der Vielfalt handwerklicher Berufsbilder – und den damit einhergehenden Unterschieden im Einsatz von Informationstechnologie – überhaupt aussagekräftig sind. Und ob die befragten Handwerker überhaupt selbst die informationstechnologische Kompetenz haben, diejenige ihrer Auszubildenden zu beurteilen.

Könnte man alles machen – dann wird das schöne Thema aber leider schon wieder so kompliziert wie die die Auswirkungen der US-Immobilienkrise auf hiesige Banken, und dann schaltet der Zuschauer ja womöglich auf einen Sender um, auf dem gerade Volksmusik läuft.

Journalistische Kompetenz zeigt sich daher in der leichtverdaulichen Aufbereitung des Themas und dem Hinweis, wo im Internet der Bericht zweitverwertet wird man weitere Informationen zum Thema findet: Auf der Website formerly known as „heute.t-online.de“

Eine Erklärung, warum gerade Tabellenkalkulation die Killerapplikation in der durchdigitalisierten Backstube aus dem Bericht darstellt, und somit die bei angeblich 76% der auszubildenden Jugendlichen fehlende Kompetenz im Umgang mit Excel und Co. problematisch ist, gibt‘s da zwar auch nicht. Aber wenigstens zwei Links, die erhellen, was man im Handwerk unter IT-Kompetenz versteht: „Lehrlinge gehen online“ – eine Flash-basierte (und somit nicht allgemein zugängliche!) Website in Kindergartenoptik, die große Chancen auf die „Goldene Benutzeroberflächen-Zitrone des Jahrzehnts“ hat und die „Initative IT Fitness“ (zu deren Partnern natürlich auch Microsoft zählt …).

Da gibt‘s auch den IT-Fitness-Test, aufgeteilt in „PC-Grundlagen & Betriebssystem, Internet & E-Mail und Textverarbeitung & Tabellenkalkulation“ (man beachte: kein PowerPoint!). Wen jetzt die Einzahl „Betriebssystem“ wundert, der liegt schon ganz richtig: Getestet wird in erster Linie die Fähigkeit, gut versteckte Funktionen in den Produkten einer IT-Firma aus Redmond zu finden, was sich auf den Screenshots als noch etwas kniffliger erweist als in der Realität. (Netterweise funktioniert der Test nicht nur unter dem vorgeschriebenen „Internet Explorer 5.5 oder höher“ – gleich mit Download-Link – sondern auch mit Safari.)

Eine virtuelle Schnitzeljagd nach dem Outlook-Icon für Anhänge sagt aber nichts über die IT-Kompetenz aus – die dürfte sich eher daran zeigen, dass man in der Lage ist, ein Problem zu lösen, auch wenn die Firma aus Redmond mal wieder ganz kreativ die Benutzeroberfläche komplett umsortiert hat. Zumal in der Backstube wohl eher spezielle Branchensoftware bedient werden muss, als dass in der Windows-Vista-Enterprise-Ultimate-Sahnetorten-Edition das „Knetteig-Widget“ – ich meine natürlich: „Knetteig-Gadget“ – gestartet wird.

Bevor man also die mangelnde IT-Kompetenz der Jugendliche beklagt, sollte man vielleicht erstmal überprüfen, was darunter zu verstehen ist: Die Fähigkeit wie Pawlows Hündchen einen Button zu drücken (übrigens egal unter welchem Betriebssystem) ist es sicher nicht. Eventuell geht es doch eher in Richtung der Fähigkeiten, die auch bei zumindest komplexeren Computerspielen trainiert werden (wie man zumindest mit Steven Johnson behaupten könnte.)

Aber wenn man so an das sicher wichtige Thema „notwendige IT-Fähigkeiten im Berufsalltag“ rangeht, käme man möglicherweise zu dem Schluss, dass vielleicht auch der ein oder andere Handwerks-Funktionär noch IT-Kompetenz-steigerungsfähig ist.

Und wenn man dann mal was „ganz Verrücktes“ macht, und die obigen Überlegungen auf den Ausgangspunkt, die „Heute“-Sendung, bezieht, könnte man zu dem Schluss kommen, dass auch die Kompetenz einiger Redakteure im Hinterfragen von firmenfinanzierten Studien noch ausbaufäh…

Aber das wäre ja so absurd, als wenn in der „Tagesschau“ vom selben Tag die Top-Meldung von „Heute“ gar nicht vorkäme.